Review: NTT DoCoMo Sigmarion III


Japan muß HandheldPC-Benutzern hierzulande wie der sprichwörtliche "Siebte Himmel" erscheinen. Die Auswahl an Geräten ist deutlich größer, eine rege Entwicklergemeinde sorgt für Nachschub an neuer, nützlicher Software. Entsprechend groß ist die Nutzergemeinde und die Nachfrage nach neuer Hard- und Software (oder umgekehrt: starke Nachfrage sorgt für mehr Angebot - was war zuerst da, Henne oder Ei?). Reißenden Absatz findet derzeit in Japan vor allem ein Gerät: Der NTT DoCoMo Sigmarion III. Wartezeiten von zwei bis drei Wochen sind die Regel, die produzierten Stückzahlen reichen kaum aus, die Nachfrage zu befriedigen. Genaue Verkaufszahlen wollte NTT DoCoMo auf Anfrage nicht nennen, "aber wir können Ihnen mitteilen, daß das Produkt sehr viel Anklang findet am Markt".

Das Geheimnis des Erfolges läßt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Der Sigmarion III ist spottbillig. Für umgerechnet unter 400 EUR geht der Handheld in Japan über die Ladentheke. Und es ist keineswegs so, daß NEC, die den Sigmarion III exklusiv für NTT DoCoMo herstellen, allzu sparsam gewesen wäre bei der Auswahl der Komponenten, ganz im Gegenteil.


Schick: der NTT DoCoMo Sigmarion III

Ein Intel XScale PXA255 mit 400 MHz sorgt für eine ordentliche Performance des Geräts. Zusätzlich Dampf gerade bei komplexen Multimedia-Anwendungen macht der Grafik-Chip von ATI, dem 8 MB eigener Speicher zur Verfügung stehen unabhängig vom installierten RAM. Ruckelfreie Video-Wiedergabe ist damit fast schon im Vollbildmodus möglich, allerdings schwächelt der ATI-Chip bei GDI-Zugriffen, sprich: beim Aufbauen von Standard-Oberflächenelementen. Der Speicherausbau ist mit 64 MB SDRAM zwar nicht allzu üppig, aber noch immer üblich bei aktuellen PDAs auf Basis von Windows CE; zusätzlicher Flash-Speicher, dessen Inhalt auch einen Hardreset überleben würde, steht dem Anwender nicht zur Verfügung. Erweiterungskarten können im CompactFlash-Format (Typ I oder II) und als SD-Card untergebracht werden. Zudem bietet der Sigmarion III gleich zwei Mini USB-Anschlüsse, einen als Slave zum Synchronisieren mit dem Desktop-Rechner, einen als Host zum Betrieb von USB-Peripherie.

Edle Innereien also, verpackt in einem nicht minder edel wirkenden Gehäuse. Klein, flach, ultra-leicht, der Sigmarion III kommt dem Ideal des tastaturbedienten Immer-dabei-PDA schon recht nahe. Bemerkenswert die Finesse im Detail: Die USB-Ports sitzen in eine Gehäusevertiefung, die mit einer Klappe sauber und sicher geschlossen gehalten wird, wenn nicht gebraucht. Der Auswurfknopf für CompactFlash-Karten sitzt ebenfalls in einer Ausbuchtung, ist damit gleichermaßen geschützt gegen versehentliches "Auslösen" wie leicht bedienbar. Im Deckel integriert sind zwei LEDs, die sowohl im offenen wie im geschlossenen Zustand sichtbar sind und so Ladezustand des Akkus und Termin-Alarme signalisieren können. Einziger Wermutstropfen: Das Kunststoffgehäuse knarzt vernehmlich, was den bis dahin hervorragenden Eindruck mehr als nur ein bißchen trübt.

Etwas wackelig konstruiert ist die Halterung des Akku. Selbiger ist extern angeflanscht zwischen den beiden Scharnieren des Klappgehäuses. Die Halterung des Akkus besteht aus je einer Führungsschiene links und rechts sowie dem Verschlußdorn, der beim Einsetzen des Stromspeichers einschnappt und gegen Herausfallen sichert. All das in Kunststoff ausgeführt, was bei häufigem Akkuwechsel über kurz oder lang sicherlich zu Verschleiß, entsprechend mehr Spiel und noch wackeligerer Anbringung führt. Für den Akku wird eine Kapazität von 1500 mAh angegeben. Im Test waren damit knapp vier Stunden Dauerbetrieb möglich bei voll bestückten Schnittstellen und während der Hälfte der Zeit aktiver WLAN- oder Bluetooth-Verbindung. Nicht gerade ein Marathonläufer also.

Das Display, ja das Display... Fünf Zoll in der Diagonalen bei 800x480 Pixel Auflösung, das ist schon sehr fein aufgelöst. Leider hat NEC nicht sehr viel Zeit und Energie in die Entwicklung einer adäquaten Oberfläche investiert. Die Buttons und Fensterrahmen im Stil von Windows XP sind schick, werden aber so schon von Microsoft selbst angeboten. Schaltflächen und andere Bedienelemente sind schlicht eins zu eins übernommen aus der Vorgabe mit dem Effekt, daß sie auf dem Display sehr klein dargestellt werden und entsprechend schlecht benutzbar sind über den Touchscreen. Schriftdarstellung, gleich ob in Dialogboxen oder in Applikationen, ist winzig, hart an der Grenze der Lesbarkeit. Daran ändert auch die brillante Schärfe, gleichmäßige Ausleuchtung und der hohe Kontrast nichts. In heller Umgebung wird das Erkennen dessen, was das Display darstellt, noch erschwert durch die mangelhafte Entspiegelung. Insgesamt also nur ein "befriedigend" für den Bildschirm des Sigmarion III.

Ein wenig größer hätte das Display leicht noch ausfallen können, wenn NEC auf die Hard Icons neben dem Screen verzichtet hätte. Jeweils fünf dieser Hard Icons gibt es links und rechts zum schnellen Aufruf der wichtigsten Programme. Über die Systemsteuerung sind die fünf Schaltflächen rechts editierbar, Tools zum Verändern der Belegung auch der linken Hard Icons gibt es in japanischen Software-Archiven. Inwieweit solche Hard Icons überhaupt sinnvoll sind, darüber läßt sich trefflich streiten. Im Falle des Sigmarion III verhindern sie jedenfalls ein größeres Display.


Die Tastatur: QWERTY mit exotischem Flair

Beim Thema Tastatur wird's langsam schwierig, als Nicht-Japaner eine sachgemäße Beurteilung abgeben zu wollen. Für die geringe Größe sehr gut bedienbar, ein überraschend angenehmes Gefühl beim Schreiben. Inwieweit das Tastatur-Layout sich an japanische Gepflogenheiten hält, entzieht sich meiner Kenntnis. Die "normalen" Buchstaben und Zahlen sind als QWERTY-Tastatur angeordnet, bei Sonderzeichen gibt's erhebliche Abweichungen. So findet sich der Schrägstrich da, wo man auf Anhieb die rechte Shift-Taste erwartet hätte, der Backslash ist in einer Extra-Tastenreihe über den Ziffern plaziert. Für hiesige Verhältnisse also sehr ungewohnt. Das Suchen nach der richtigen Taste wird durch die exotische Beschriftung nicht gerade erleichtert. Ob Japaner ähnliche Probleme mit dem Gerät haben?

Punkten kann der Sigmarion III bei der Software-Ausstattung. Neben der Serienbestückung eines CE.NET 4.1 Gerätes finden sich jede Menge zusätzlicher Programme, die NEC und NTT DoCoMo dem Anwender spendieren. So gibt es etwa einen sehr komfortablen Assistenten, um den Sigmarion III schnell und einfach mit den mobilen Datenfunkdiensten PHS oder FOMA (bis 384 kbps) von NTT DoCoMo zu verbinden. Da Datenfunk in Japan üblicherweise in Form von vorab gebuchten Übertragungsmengen bezahlt wird, darf natürlich ein Traffic Counter nicht fehlen. i-Mode läßt sich mit dem Sigmarion III selbstverständlich auch nutzen, schließlich ist NTT DoCoMo Erfinder dieser Technologie. Zuständig für die Darstellung von i-Mode Seiten ist die Software Picsel Browser.

Der Picsel Browser ist eine Art eierlegende Wollmilchsau. Nicht nur Online-Inhalte - neben i-Mode Seiten auch HTML incl. Forms und JavaScript - lassen sich mit dem Programm betrachten, auch viele andere Dateiformate, unter anderem Word-Documente, Excel-Tabellen, Powerpoint-Präsentationen und PDF-Dateien. Tatsächlich sind Kompatibilität und Darstellungsqualität so gut, daß NEC auf die unter CE.NET üblichen Office-Fileviewer von Microsoft gänzlich verzichtet hat.


Nettes Gimmick im Picsel Browser: Die Anzeige läßt sich stufenlos zoomen

Eine weitere Software-Perle, die der Sigmarion III mitbringt, sind die Gemini-PIMs, eine sehr leistungsfähige Lösung zur Termin-, Kontakte- und Aufgabenverwaltung, die sich direkt mit Outlook auf dem Desktop-PC synchronisieren läßt. Im originalen Lieferumfang ist nur der von Microsoft bereitgestellte Mail Client installiert. NTT DoCoMo bietet über den Dienst "MobileCustom" allerdings als Update Gemini-Mail an, das nahtlos mit den PIM-Applikationen aus dem selben Haus zusammen arbeitet und die Lösung von Microsoft weit in den Schatten stellt.

Überhaupt ist "MobileCustom" ein innovativer, anwenderfreundlicher Service, den es so für CE-Handhelds bisher nicht gab: NEC und NTT DoCoMo bieten auf diesem Weg Nutzern des Sigmarion III die Möglichkeit, ihr Gerät mit garantiert lauffähiger Software nachzurüsten. Ähnlich dem Windows Update Service werden Patches, Aktualisierungen und zusätzliche Treiber zur Verfügung gestellt, z.B. ein SD/IO-Treiber, ohne den der Sigmarion III im SD-Slot nur Speicherkarten lesen kann. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Software von Drittanbietern, angefangen bei einem eigenen Image Viewer über ein Flash 6 PlugIn für den Internet Explorer, den bereits genannten Gemini Mail Client bis hin zu einer vollwertigen Tabellenkalkulation, die im originalen Lieferumfang fehlt. Über 30 Angebote umfaßt "MobileCustom" bereits, nicht alle kostenlos. Der Abruf erfolgt über einen eigenen Client direkt vom Sigmarion III und eine beliebige Internet-Verbindung.

Dickster Nachteil des Sigmarion III aus außer-japanischer Sicht: Es gibt ihn nur im Land der aufgehenden Sonne. An der Exklusiv-Vermarktung in Japan wird sich so schnell jedoch nichts ändern. "Wir haben im Moment keine Pläne, das Produkt außerhalb Japans zu verkaufen", so ein Sprecher von NTT DoCoMo.


Möchte hier jemand Japanisch lernen?

Schade eigentlich. Mit japanischer Oberfläche ist der Sigmarion III für durchschnittliche Mitteleuropäer kaum benutzbar. Es sei denn für Anwender, die ohnehin Japanisch lernen wollen. Oder für solche, die erstens sich nicht scheuen, die Systemkonfiguration zu einem Gutteil in der Registry vorzunehmen und so die fremdsprachigen Dialoge der Systemsteuerung zu umgehen, und zweitens auf die mitgelieferte Software verzichten können und wollen. 

Jürgen Rothberger
März 2004


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